Ein Zufallsfund öffnet ein Fenster zu einem der schwärzesten Ereignisse der lübschen Geschichte: Im Rathaus sind neue Fotos und Dokumente gefunden worden, die unmittelbar nach dem Bombenangriff der Engländer im März 1942 entstanden sind. Bei den Unterlagen handelt es sich um Propagandamaterial der Nazis.
Bombenangriff auf Lübeck
In der Nacht zum Palmsonntag 1942 bombardierte die Royal Air Force die Lübecker Innenstadt. Mehr als 300 Menschen starben, fast 800 wurden verletzt, große Teile der südwestlichen Altstadt wurden zerstört. Es war der erste Flächenangriff auf eine deutsche Großstadt im Zweiten Weltkrieg. Der Angriff, vielmehr die Folgen, sind gut dokumentiert. Viele Fotos zeigen die zerstörte Lübecker Altstadt: St. Marien ohne Türme, das brennende Areal um den Dom, Straßenzüge in Schutt und Asche.
20 neue Fotos der Folgen
Im Lübecker Rathaus sind nun Fotos entdeckt worden, die einen neuen Blick auf das Geschehen unmittelbar nach dem Bombardement zeigen. „Die Fotografen haben andere Perspektiven eingenommen“, erklärt Bürgermeister Jan Lindenau. Ein Blick aus der zerstörten Marienkirche in den Himmel beispielsweise, ein andere Bild zeigt Rauch, der aus den Kirchenfenstern dringt, vor dem Rathaus türmen sich Schuttberge. Tote oder Verletzte indes zeigen die Fotos nicht.
Reine Nazipropaganda
„Es ist reine Nazipropaganda“, sagt Dr. Jan Lokers, der Leiter des Lübecker Stadtarchivs. Das zeige schon die Sprache der Dokumentation: „Die englischen Kulturbarbaren haben die historische Altstadt zerstört“, heißt es in den Unterlagen. Es sollte eine Anklage sein, aber auch die „Heldentaten“ der Helfer glorifizieren, so Dr. Lokers. Rund 20 dieser Fotos wurden gefunden, auch eine Karte, auf der die Zerstörungen eingezeichnet waren, lag dabei. „Das alles hat einen hohen historischen Wert“, sagt der Stadt-Archivar.
Fund der Fotos war Zufall
Dass die Unterlagen überhaupt gefunden wurden, war reiner Zufall. Die Bürgermeisterkanzlei hatte im Sommer einen unscheinbaren Tresor öffnen lassen, der sich in der Pförtnerloge des Rathauses befand. „Darin befand sich früher das Senatssilber“, sagt Bürgermeister Lindenau. Da der Tresor aber 1992 bereits geöffnet wurde, hatte niemand etwas darin vermutet. Doch tatsächlich befand sich ein großer Schuber darin, der die Unterlagen und 78 Fotos enthält. Mehr als 50 der Bilder zeigen Lübeck vor dem Bombenangriff, wohl zu Dokumentationszwecken.
Unterlagen öffentlich einsehbar
Wer die Fotos und die Unterlagen einsehen möchte, kann das im Archiv der Hansestadt Lübeck tun. Hierfür ist eine Anmeldung erforderlich. Oliver Pries
Fotos: Lutz Roeßler / Oliver Pries
Gut zu wissen, was man bei der Tresoröffnung gefunden hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass man das nicht erwartet hätte. Tresore sind wohl immer wieder für Überraschungen offen.