Der Historiker Christian Rathmer beschäftigt sich mit dem Schicksal der Lübecker Schwulen in der Nazizeit.
Die Geschichte der homosexuellen Männer Lübecks im „Dritten Reich“ ist ein bislang unbeleuchtetes Kapitel. Der Historiker Christian Rathmer hat nun den Auftrag erhalten, Licht ins Dunkel zu bringen. Angestoßen hat die Nachforschungen der Lübecker CSD-Verein.
Christian Rathmer beginnt seine Nachforschungen mit einem Namen: Paul von Großheim. Von Großheim wurde 1937 in Lübeck wegen seiner Homosexualität verhaftet. Weil der Sohn einer gutbürgerlichen hansestädtischen Familie später über seine Inhaftierung gesprochen hat – auch in Dokumentarfilmen – gilt das als belegt. Ob es in der Hansestadt am 23. Januar 1937 aber tatsächlich zu einer Massenverhaftung von 230 schwulen Männern kam – wie häufig kolportiert wird – daran zweifelt Christian Rathmer. „Die Information ist nicht belastbar“, sagt der Historiker.
Erst zwei Studien zum Thema habe es in Schleswig-Holstein gegeben, so Rathmer. Doch die seien wenig ergiebig. Die Recherche sei schwierig, da die Justizunterlagen im ganzen Land verstreut sind.
Außerdem wurden die Akten nach Namen geführt, nicht nach den Vergehen, die den Männer während der Nazizeit vorgeworfen wurden. „Viele der Polizei- und Gestapo-Akten wurden ohnehin vernichtet“, weiß
Rathmer. Erste Untersuchungen führten den gebürtigen Münsterländer bereits nach Hamburg, weitere Recherche-Stationen sollen das Landesarchiv in Schleswig sowie das Niedersächsische Staatsarchiv sein.
Auch Hinweisen nach einer mysteriösen Gefangenenliste will Christian Rathmer nachgehen. „Das Ziel soll ein möglichst kompletter Überblick über die Opfergruppe sein.“ Das Ergebnis von Christian Rathmers Arbeit wird aber sicherlich auch ein Zeitbild des schwulen Lübecks in den dreißiger und vierziger Jahren werden.
Bereits 2017 setzte der Lübecker CSD-Verein den verfolgten Schwulen ein Denkmal: Es hängt am Zeughaus an der Parade, direkt neben dem 1986 enthüllten Denkmal für die Verfolgten der Nazizeit. Damals wurde an die homosexuellen Opfer nicht gedacht. Nun arbeitet das Archiv der Hansestadt Lübeck mit Rathmer zusammen, öffnet seine Pforten, damit der Historiker mit seinen Nachforschungen beginnen kann. Unterstützung erfährt das Projekt auch von der Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten, der Bluhme-Jebsen-Stiftung aus Stockelsdorf und von der Initiative Stolpersteine.
Das Geld für die wissenschaftliche Arbeit wirbt der CSD-Verein ein. „Dieses Thema aufzuarbeiten ist ein wichtiger Schritt, um der vernachlässigten Opfergruppe der Homosexuellen auch in Lübeck Anerkennung zukommen zu lassen und um die Gesellschaft für homophobe Tendenzen zu sensibilisieren“, erklärt der Vereinsvorsitzende Christian Till.
Gut ein Jahr hat Christian Rathmer für seine Arbeit veranschlagt. Der Forscher muss Einzelschicksale recherchieren, die Ergebnisse müssen belastbar sein. Dass es kaum noch Zeitzeugen geben dürfte, macht die Arbeit nicht leichter. „Das macht man nicht mal so nebenbei“, sagt er.
»Wer Informationen über in Lübeck verfolgte Homosexuelle zwischen 1933 und 1945 hat, kann sich unter der E-Mail-Adresse info@luebeck-pride.de an den Lübecker CSD-Verein wenden.