Die Awo-Einrichtung „Drachennest I“ an der Paul-Ehrlich-Straße wurde im Rahmens eines bundesweites Projektes zertifiziert.
Vor fast 100 Jahren waren es die „Kinderrepubliken“, innerhalb derer die Arbeiterwohlfahrt (Awo) zwischen 600 und 1000 Kinder in Ferienlagern unterbrachte, ein Parlament bildete, eine Regierung wählte und Regeln festlegte. „Das war das erste Demokratieprojekt der Arbeiterwohlfahrt zu Beginn der Weimarer Republik“, so Bürgermeister Bernd Saxe bei der feierlichen Zertifizierung der Awo-Kita Drachennest I im Lübecker Hochschuldstadtteil. In Zeiten, in denen antidemokratische Kräfte erneut Zulauf erhielten, sei genau der richtige Zeitpunkt, Demokratie zu vermitteln. „Auch mit unterschiedlichen Interessen kann ein gemeinsames Ziel erreicht werden“, so Saxe, der sich darüber freut, dass die Awo die damalige Idee wieder aufgreift, so dass über die „Kinderstuben der Demokratie“ die Toleranz von gegenteiligen Meinungen, die Beachtung von Minderheiten sowie die Umsetzung von demokratischen Mehrheitsentscheidungen geübt werde.
Modell-Projekt stärkt Partizipation in Kitas
Die Awo Schleswig-Holstein setzt bereits seit dem vergangenen Jahr bundesweit ein einmaliges Modell-Projekt um, das Partizipation in Kitas stärkt. „Die tragenden Säulen dabei sind unsere Kita-Verfassung und ein Beteiligungsprojekt, das gemeinsam mit Fachkräften entwickelt wird“, erzählt Kita-Leiterin Janiene Gursupp. Seit 2008 gibt es die Kita Drachennest I an der Paul-Ehrlich-Straße. „Einige ehemalige Kita-Kinder absolvieren inzwischen Praktika bei uns“, freut sich Janiene Gursupp über das gute Miteinander im Haus.
Partizipation und Teilhabegerechtigkeit
„Partizipation und Teilhabegerechtigkeit sind die Markenzeichen der Awo“, unterstreicht Michael Selck, Geschäftsführer der Awo Schleswig-Holstein. „Die Kinder in unseren Kitas sind schon seit Langem an Entscheidungen, die sie betreffen, beteiligt.“ So gibt es im Drachennest I ein Kita-Parlament, das einmal im Monat tagt, um wichtige Angelegenheiten der Einrichtung zu besprechen. Die dort getroffenen Entscheidungen nimmt Fachkraft Melanie Hohnroth im Kita-Parlament auf, während die kleinen Parlamentsmitglieder die Entscheidungen in ihren Gruppen mitteilen. Auch deren Anwesenheit und die der Fachkräfte wird im Parlamentsprotokoll festgehalten. „Meine Anwesenheit wird mit Zeichnung einer Krone dokumentiert“, sagt Janiene Gursupp augenzwinkernd. Sie ist als „Königin“ bei schwierigen Diskussionen dabei. Wie bei der Entscheidung über einen Ausflug zum zehnjährigen Bestehen der Kita: „Fest stand, dass es ein Tag für die Kinder sein sollte“, so die Leitung. Während die Kinder den Besuch einer kommerziellen Spiellandschaft favorisierten, einigten sie sich schließlich – unter anderem aus Kostengründen und auf Einwand der „Königin“ – doch auf einen Ausflug in den Wildpark in Trappenkamp. Völlige Einigkeit herrschte unter den Kindern, dass die Eltern an diesem Tag nicht dabei sind.
Demokratischen Prozesse im Alltag
Auch der Awo-Landesvorsitzende Wolfgang Baasch sprach sich für den Weg der Kita-Mitarbeiter, sich auf etwas Neues einzulassen und den Weg gemeinsam mit den ebenfalls entscheidenden Kindern zu gehen, als richtig und wichtig aus. Die Kinder lernten „die demokratischen Prozesse im alltäglichen Leben kennen“ und würden eigene Ziele nicht immer an erster Stelle setzen und lernen, Rücksicht auf Minderheiten zu nehmen. „Demokratie bedeutet nicht, Kindern die Macht zu geben. Durch die Beteiligung an verbindlichen Regeln bei Teilhabe und Beteiligung stärken wir den Kinderschutz“, so Baasch. „Denn starke Kinder sind das Beste für die Zukunft.“ mpa
Foto: Demokratische Regeln im täglichen Miteinander: Janiene Gursupp und Melina Hohnroth (v. l.) mit den kleinen Parlamentsmitgliedern bei einer Kita-Parlamentssitzung. © mpa