Der Biohof Falkenhusen: Nahrhafte Landschaft vor den Toren Lübecks

Letzter Teil der Serie „Essbare Stadt Lübeck“: Wie Kinder erfahren, wie und wo ihr Essen produziert wird.

Herbstzeit – Erntezeit: Grund genug, dass der neunjährige Tim sich mit seinem Großvater auf den Weg zum Biohof Falkenhusen macht. Dort sind jetzt die Kartoffeln reif. Tim wünscht sich für morgen etwas Besonderes zum Mittagessen: Rote, gelbe und lilafarbene Kartoffeln frisch vom Feld, dann dampfend aus dem Backofen. Aber heute hat er noch einen anderen Grund, hier heraus zu kommen, denn sein Lehrer hat der Klasse eine besondere Hausaufgabe aufgegeben: Er soll zehn verschiedene Tiere zeichnen. Während seine Freunde laut aufgestöhnt haben, hat Tim sich gefreut, weil er gleich wusste, dass ihm dies auf dem Bauernhof, wo er sich bestens auskennt, nicht schwer fallen würde.

Tiere auf dem Biohof Falkenhusen

Schon kurz vor der Hofeinfahrt stoppt er und zückt entschieden seinen Zeichenblock. Auf den frischgrünen Wiesen rechts und links des Weges weidet gemütlich eine riesige weiße Gänseschar. „Letztes Mal habe ich sie gezählt. Das war gar nicht so leicht, weil sie immer in Bewegung sind. Es waren über 100 Stück“, berichtet er stolz, während er als geübter Beobachter gekonnt mit ein paar Linien und Kurven die Silhouette einer Gans aufs Papier skizziert. Seine nächsten Stationen hat er schon im Kopf – das frisch geborene Kälbchen in der Babybox, den Bullen auf der Weide, die Milchkühe im Stall, der Frischling mit seiner Saumutter im Naturpferch, die Hühner im biozertifizierten, solarbetriebenen Hühnermobil. „Hier finde ich aber auch jede Menge wilde Tiere“, ist Tim sich sicher.

Schulklassen besuchen den Biohof Falkenhusen

Regina Aewerdieck, die zusammen mit ihrem Mann Jörg den Betrieb führt, hat auf ihrem Hof öfter mal Schulklassen zu Besuch. „Es ist mir eine Freude, Kindern den Betrieb zu zeigen. Viele wissen heute nicht mehr, wie und wo ihr Essen produziert wird. Sie haben noch nie davon gehört, dass die meisten Menschen bei uns ihr Essen von Feldern holen, auf denen nicht mehr viel lebt. Bei uns bekommen sie mit, dass es auch anders geht – auch zugunsten des Tierwohls.“

Mehr Wertschätzung für Direkt- und Regionalvermarktung

Die Familie Aewerdieck hat sich 1988 entschieden, ihren Betrieb, dessen Fläche zu gut der Hälfte aus stadteigenem Pachtland besteht, auf biologischen Anbau umzustellen. Zugegebenermaßen nicht ganz freiwillig: Anstoß war ein Beschluss der Lübecker Bürgerschaft Mitte der 80er Jahre, neu zu verpachtende Flächen der stadteigenen Liegenschaften bevorzugt an biologisch wirtschaftende Betriebe zu vergeben. „Damals war das eine große Herausforderung für uns“, sagt Regina Aewerdieck: „Die Umstellung haben wir schrittweise über einen längeren Zeitraum vollzogen. Heute sind wir froh, weil ,bio’ am Rande einer Großstadt für uns einfach gut funktioniert.“ Der vielseitige Familienbetrieb, in dem auch die beiden fast erwachsenen Kinder regelmäßig und voll engagiert mitarbeiten, profitiert davon, dass Direkt- und Regionalvermarktung in den letzten Jahren zunehmend mehr Wertschätzung erfahren, nicht zuletzt, weil besondere Qualität Kunden und Kundinnen überzeugt. „Auch die persönlichen Gespräche sind immer wieder wichtig“, erklärt Regina Aewerdieck, die für ihre Stammkunden auch gerne selber im Hofladen steht, besonders zur Spargelzeit. Wem der Weg auf den Hof zu weit ist, der kann mittlerweile die leckeren Falkenhusener Frühkartoffeln Leyla und Anabel sowie taufrischen grünen und violetten Biospargel auch in den Edeka-Märkten der Stadt kaufen.

Der Biohof Falkenhusen ist Teil des Ende 2013 begründeten Netzwerks Essbare Stadt Lübeck

Auf vielfältige Art erleben die Aktiven des Netzwerks in unterschiedlichen Projekten, wie sie durch ihr eigenes Tun ganz praktisch zu guten Lebensbedingungen in Lübeck beitragen können. Sauberes Wasser, lebendiges Bodenleben, bunt blühende Acker- und Wiesenkräuter und nahrhafte Landschaften für Mensch und Tier sind der Mehrwert einer Lebensmittelerzeugung, die auf chemischen Pflanzenschutz und mineralischen Dünger weitgehend verzichtet. Regina Aewerdieck ist überzeugt, dass die Kommunikationstrategie des Netzwerks Essbare Stadt auf Dauer Wirkung zeigt: „Wer mal eine Zeitlang sein eigenes Gemüse gezogen und den unschlagbaren Geschmack eines Radieschens oder einer Möhre frisch aus dem Boden genossen hat, der zahlt auch im Einkaufsmarkt in der Stadt oder im Hofladen eher einen etwas höheren Preis für gute Qualität. Er trägt damit direkt zur Existenz eines Lübecker Hofes bei und fördert indirekt eine vielfältig, arten- und strukturreichen Kulturlandschaft.“ Maßnahmen zur Förderung der biologischen Vielfalt unterstützt der Biohof Falkenhusen aktiv: Im kommenden Quartal, noch bevor der Winter Einzug hält, setzen die Betriebsinhaber in Zusammenarbeit mit dem Bereich Umwelt-, Natur- und Verbraucherschutz der Hansestadt Lübeck als biotopfördernde Maßnahmen verschiedene Anpflanzungen um: Alte regionale Obstsorten, Wildobst und Weiden sowie Knicksträucher. Diese werden zum Teil von den Betriebsinhabern selber, zum Teil im Rahmen des Ausgleichsmanagements der Hansestadt Lübeck finanziert. „Eine gute Investition direkt in die komplexe Nahrungskette von wirbellosen Tieren, Kleinsäugern und Vögeln, deren oberstes Glied wir Menschen sind“, meint Ingrid Bauer vom Bereich Umwelt-, Natur- und Verbraucherschutz: „Und uns Lübecker freut es, genauso wie Tim, wenn wir an einen so schönen Ort kommen wie hier, vor den Toren Lübecks.“

 

Foto: Grundschüler Ben (7) ist von den vielen Tieren auf dem Hofgelände fasziniert. © Sdf

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