Teil 4 der Wochenspiegel-Serie „Essbare Stadt Lübeck“: Das Obst-Biotop in Moisling ist wahrlich ein Naturidyll und beherbergt neben alten Obstsorten auch zahlreiche Tier- und Pflanzenarten.
Direkt am Trave-Ufer zwischen Schilf- und Wiesenflächen stehen Obstbäume. In den Zweigen der gelbe Zitronenapfel, die grüne Bürgermeisterbirne und der rote Bismarckapfel. Kinderhände recken sich empor, für die höheren Äste hilft ein Apfelpflücker. Pfadfinder der Royal Rangers Wilde Karde naschen auf ihrem weitläufigen Freigelände direkt vom Baum.
Kinder erfahren Wertvolles über Pflanzen und Tiere
Fallobst bleibt für die Tiere liegen, auch aus Vorsicht vor den Eiern des Fuchsbandwurms. In diesem Obst-Biotop am Moislinger Baum sagen sich Fuchs und Igel wirklich gute Nacht. Beide Tierarten wurden schon gesichtet, auch Fledermäuse und die seltene Sumpfohreule kommen in der Dämmerung. Leider auch Wildschweine, kein Zaun konnte sie bisher stoppen. „Für Kinder ist das hier ein Naturparadies“, sagt der Pfadfinder-Leiter Pastor Sebastian Kressin, „sie lernen hier Wertvolles über Pflanzen und Tiere.“ Stammleiter Kressin fügt hinzu: „Wir stellen auch anderen Jugendgruppen unser ,essbares Freigelände’ zur Verfügung.“
Obst-Biotop in Moisling beherbergt alte Obstsorten
Das 2,2 Hektar große Obst-Biotop beherbergt eine Reihe alter Obstsorten. Die Äpfel haben klingende Namen wie Goldrenette Freiherr von Berlepsch, Kaiser Wilhelm, Rote Sternrenette oder Purpurroter Cousinot. Auch Quitten und Mispeln stehen dort sowie eine Schönberger Zwetsche. Betreut werden die Obstbäume vom Lübecker Hanse-Obst-Verein, geerntet wird hauptsächlich von Kindern.
Pflanzungen von Hanse-Obst sind Teil des Projektes Essbare Stadt Lübeck
Neben den Pfadfindern kommen oft Kids aus Moislinger Kitas und Schulen. Mit der städtischen Kita vom Brüder-Grimm-Ring wurde Anfang des Monats der Seestemüher Zitronenapfel geerntet und auch ein neuer Apfelbaum gepflanzt: ein Gelber Bellefleur. „Obstpädagogik machen wir inzwischen mit zwei Dutzend Schulen und Kitas“, sagt Hanse-Obst-Mitbegründer Heinz Egleder, „am liebsten Obstverkostung und Baumpflanzung am selben Tag.“ Über 50 Neupflanzungen mit Kindern hat der Verein inzwischen in Lübeck gemacht. „Die Pflanzungen von Hanse-Obst sind praktischer Naturschutz und Teil des Projektes Essbare Stadt Lübeck“, sagt Ingrid Bauer vom Bereich Umwelt, Natur- und Verbraucherschutz Lübeck: „Natur ist wertvoll, deshalb freuen wir uns, wenn Pfadfinder, andere Kinder oder Passanten Obst naschen und auf den Geschmack kommen.“
Ferienpass-Aktionen vom Lübecker Jugendring
Im Moislinger Obst-Biotop wurde bereits mit fünf verschiedenen Kitas und drei Schulen gepflanzt. Und es ist Platz genug für weitere Bäume. Dort finden seit 2016 Ferienpass-Aktionen vom Lübecker Jugendring statt, es geht meist um Bienen, Fledermäuse oder Obst. Jeden letzten Mittwoch im Monat ab 15 Uhr laden die Royal Rangers zusammen mit dem Projekt Moisling hilft Menschen mit und ohne Migrationshintergrund ins Biotop: Hanse-Apfelsaft gratis gehört jedes Mal dazu. Auch am 25. Oktober wird dazu eingeladen. Eines der schönsten Erlebnis am Moislinger Baum: als Kids aus vier Herkunftsländern nach dem Pflanzen einer lokalen Apfelsorte spontan in Jubel ausbrachen.
Zuhause für Honig- und Wildbienen
Honig- und Wildbienen finden am Moislinger Baum ein besonderes Zuhause. Ein komfortables Insektenhotel lädt ein und ist zugleich ein Hingucker für Besucher. Der Wildbienen-Niststand wird von Streuobstwiesenpädagoge Ulrich Praedel und Kindern im Rahmen einer Schul-AG betreut. Denn ohne Insektenbestäubung wären gute Ernten in der Essbare Stadt Lübeck nicht denkbar. In diesem Jahr ist ein Großteil der Obsternte ausgefallen, weil die Honigbienen im kühlen Mai nicht ausgeflogen sind; blühende Obstbäume wurden nicht ausreichend bestäubt. „Ohne Bienen keine Früchte, aber auch keine Wildblumen-Vermehrung“, so Hanse-Obst-Mitglied Praedel.
Uferstreifen genießt höchste Schutzstufe in Europa
Von den 3,5 Hektar insgesamt werden Teilbereiche ganzjährig nicht betreten, um optimalem Naturschutz Rechnung zu tragen. Seit 2006 ist der Uferstreifen zudem Flora-Fauna-Habitat, die höchste Schutzstufe in Europa. Die bunt schillernden Eisvögel sind dort tägliche Besucher, der majestätische Seeadler ein seltener Gast. Libellen, Schmetterlinge und unzählige Grashüpfer wohnen hier. Das Naturidyll Moislinger Baum trägt seinen Namen nicht wegen der Obstbäume, dort war im Mittelalter ein Schlagbaum als Stadtgrenze. Aber das Areal hat auch eine unrühmliche Vergangenheit: Einige Jahre war es Müllkippe, auf der Abbruch der alten Ziegelei aus Buntekuh entsorgt wurde. Seit einem Vierteljahrhundert besiedeln Pflanzen und Tiere wieder den Südhang an der Trave, 1998 pflanzten Lübecker Jäger dort eine Obstwiese, die jetzt zur Ernte einlädt.
Unterstützung vom Gemeinnützigen Verein für Lübeck-Moisling/Genin und Umgegend und der Bingo Umweltlotterie
Am Moislinger Baum gibt es inzwischen eine große Anzahl von Wildkräutern, darunter die essbaren Wilden Möhren, die Wilde Pastinake und die angenehm würzige Knoblauchsrauke. Auch die Wilde Karde, die als Heilpflanze bei Zeckenbissen früher eine Rolle spielte, wächst dort vereinzelt. Sie ist zugleich Namensgeberin der Lübecker Royal Rangers Wilder Karde, was manche als Wilde Kerle missverstehen. Die Biologin Bettina Faaß hat insgesamt 170 Pflanzenarten auf dem Areal kartiert, eine unglaubliche Vielfalt, darunter das mild duftende Mädesüß , den betörenden Wilden Baldrian sowie zwei in Schleswig-Holstein gefährdete Arten. Um dort noch mehr Essbare Stadt entstehen zu lassen, auch duftende Stadt, sind ein kleiner Kräutergarten, ein Duftgarten und auch eine Ecke mit Färberpflanzen geplant. Unterstützt wird das Biotop-Projekt vom Gemeinnützigen Verein für Lübeck-Moisling/Genin und Umgegend und der Bingo Umweltlotterie. Vereinbarte Führungen durch das essbare Paradies an der Trave auf Anfrage. Weitere Info unter www.hanse-obst.de und www.rr456.de
Foto oben: Pomologe Heinz Egleder, Hanse-Obst e.V. und Eigentümer der Streuobstwiese, und Ingrid Bauer, Projektleiterin Essbare Stadt Lübeck beim städtischen Bereich Umwelt-, Natur- und Verbraucherschutz, an einem Arbeitstisch unter einer Halle, die von einem Supermarkt gespendet wurde.
Foto unten: Umweltpädagoge Ulrich Praedel überpüft ein Bienenhotel, das er mit Schulkindern der Ferienpassaktion gebaut hat. © Sdf