Ehepaar mit Rockstar-Attitüde: Shovels & Rope aus South Carolina gelten als große Hoffnung des Americana. Foto: Oliver Pries
Tag drei des dänischen Tønder-Festivals. Es ist kurz vor 19 Uhr, und vor der großen Open-Air-Bühne wird es voll. Voll nach Tønder-Maßstab. Denn obwohl sehr viele Menschen gleich den Auftritt des „Walking in Memphis“-Musikers Marc Cohn sehen möchten, ist alles ganz entspannt. Selbst direkt vor der Bühne ist Bewegungsfreiheit garantiert, auf dem kleinen Hügel vor der Bühne haben die Menschen ihre Picknickdecken ausgebreitet. Neben mir unterhalten sich angeregt drei Pressefotografen. Obwohl ihre Kameras seit drei Tagen auf Dauerfeuer eingestellt sind, ist die Stimmung gechillt. Kein Wunder: Das Festival für „Handmade Music“ kurz hinter der deutsch-dänischen Grenze gilt als eines der entspanntesten überhaupt. Gedränge gibt es kaum, die Schnapsleichen liegen im naheliegenden Pub, aber außerhalb des Festivalgeländes, die Klos sind luxuriös – jedenfalls für Festivalverhältnisse.
Bissige Texte mit Folk-Charme: Louden Wainwright III kam nach Tønder und begeisterte sein Publikum. Foto: Oliver Pries
Musikalisch hat der Musik-Marathon – übrigens der größte seiner Art in Europa – jede Menge Hochkaräter zu bieten. Country-Ikone Lucinda Williams hat am Donnerstag bereits ein knarziges Konzert gegeben. Das Duo Shovels & Rope hat einen Tag später Tønder mit einer leicht arroganten Super-Musiker-Attitüde gerockt und sehr deutlich gemacht, warum Kritiker das Ehepaar aus South Carolina als das „neue große Americana-Ding“ sehen. Kurz bevor nun Marc Cohn die Bühne betritt, hat Louden Wainwright III im Zelt 1 das wohl skurrilste Konzert des Festival gegeben – sicher aber das lustigste. Der Schauspieler und Songwriter ist bekannt für seine bissigen Texte. Unheimlich: In seinem Song „I had a dream“ hat Wainwright das Trump-Debakel bereits im Frühjahr 2016 vorhergesehen. Das Publikum zollt dem Vater von Rufus Wainwright frenetischen Applaus für seinen Song. Auch, als Wainwright immer wieder auf den benachbarten Deutschen rumhackt. Da fühlt man sich als deutscher Musikjournalist zwar unbehaglich, lacht aber mit. Tarnung ist alles. Keep calm and smile.
Der Amerikaner Marc Cohn („Walking in Memphis“) brachte Piano-Pop und Gänsehaut mit nach Dänemark. Foto: Oliver Pries
Und dann kommt endlich Marc Cohn. Cohn hat sich in Europa mittlerweile rar gemacht. Nach dem Welthit „Walking in Memphis“ wollte sich dauerhafter Erfolg diesseits des großen Teiches für ihn nicht wirklich einstellen. Jenseits des Atlantiks aber lief es gut für den New Yorker. Er schrieb für andere, produzierte, veröffentlichte immer wieder Alben – bis zu jenem schicksalhaften Tag, als ihm nach einem Konzert in Denver in den Kopf geschossen wurde. Mirakulös überlebte der Musiker – und steht nun in Tønder auf der Bühne. Das gestandene Publikum flippt nicht wirklich aus, dafür ist Cohns Piano-Pop aber auch nicht gemacht. Und doch liegt Konzertmagie in Luft während des Auftritts. Zum Ende erfüllt Cohn einem Fan noch einen Musikwunsch und stimmt seinen Song „Healing Hands“ an. Da ist Gänsehaut im deutsch-dänischen Grenzland garantiert. Nach exakt 75 Minuten ist das Konzert auch schon wieder vorbei. Und das ist auch schon der einzige Wermutstropfen des ansonsten so entspannten Festivals: Die perfekt getakteten Konzerte sind oftmals einfach zu kurz. Doch auch hier gilt: entspannt bleiben. Die nächste schöne Musik-Darbietung fängt ja gleich schon wieder an. Oliver Pries
Das Tønder-Festival steigt immer am letzten August-Wochenende, 2018 vom 23. bis zum 26. August. Mehr Infos: tf.dk.