
„Wir setzten uns zusammen, um unsere Interessen zu vertreten. Das ist ein Stück gelebte Demokratie“: Friedhelm Anderl, Vorsitzender der Siedlergemeinschaft Dornbreite. (Fotos: Sdf)
Die Bewohner der Siedlung sehen durch die neue Regelung ihr soziales System gefährdet.
Heute Abend wird an der Dornbreite geschwoft. Im Gemeinschaftshaus steht ab 20 Uhr wieder der Oldieabend an. Das Kniffel- und Skatturnier war schon, das Osterbasteln kommt noch. In der Siedlung am Rande der Hansestadt sind die gemeinschaftliche Termine wichtig. „Solche Zusammenkünfte bereichern das Dasein und fördern das gemeinschaftliche Miteinander“, sagt Friedhelm Anderl, Vorsitzender der Siedlergemeinschaft Dornbreite.
Und dieses Miteinander ist das Besondere an den Siedlungen auf städtischen Erbpachtgrundstücken. „Die Dornbreite ist eine Arbeitersiedlung gewesen und dieser soziale Touch hat sich erhalten.“ Als sie kurz nach dem Ersten Weltkrieg entstand, war die Dornbreite in Grunde genommen Bauernland. Die Stadt gewährte Erbbaurechte auf großzügig bemessenen Grundstücken. „Man wollte die Menschen in Lübeck behalten und auch Familien aus niedrigeren Verhältnissen die Möglichkeit geben, ihr Häuslein zu bauen und sich selbst zu versorgen“, schildert Anderl. Es gab weder fließendes Wasser, geschweige denn Strom oder Gas, und die Wege waren morastig. Diskussionsstoff mit der Stadtverwaltung gab es schon damals genug. So gründeten einige der ersten Erbpachtnehmer 1922 ihre Interessengemeinschaft.
Seitdem halten die Dornbreiter zusammen, wenn es darum geht, Dinge voranzutreiben. Wie den Bau des Gemeinschaftshauses oder der Kegelbahn, die Verkehrsberuhigung auf der Hauptstraße, die Schaffung der Humboldtwiese, die Pflege der Straßenbäume und einiges mehr. „Manche sprechen vom Königreich Dornbreite“, schmunzelt Anderl, „und irgendwie stimmt es auch.“
Einiges hat sich allerdings geändert. Schweine gibt es nicht mehr, auch wenn alte Pachtverträge immer noch das Recht beinhalten, Hühner und Säue zu halten. Einen solchen Vertrag haben auch Horst (81) und Barbara Timm (70). Sie zogen 1984 hierher. „Im Haus gab es kein richtiges Badezimmer, nur einen Waschtisch in der Küche. Geheizt wurde mit einem Holzofen“, erinnern sich die Senioren. Im Laufe der Jahre haben sie viel investiert und verändert. Auch mit Hilfe der Nachbarn. Der alte Schweinestall, den es bei ihrem Einzug noch gab, ist ein gemütliches Wohnzimmer geworden.
Dort sitzen sie jetzt am Tisch und wälzen besorgt Aktenordner. Sie zeigen den alten, handschriftlich gesetzten Vertrag, ihren mühsam getippten Brief an die Sparkasse, die maschinell herstellten Schreiben der Stadtverwaltung. Die Entscheidung der Bürgerschaft, die Erbpachtzinsen zu erhöhen (der Wochenspiegel berichtete), nagt an ihren Nerven. „2026 läuft unser Vertrag aus. Werden wir noch da sein? Und wie können wir die Pacht zahlen? Das wissen wir nicht.“ Sie hatten sich ihr sorgenfreies Altern anders vorgestellt. Nun wächst der Groll auf die Politiker. „Es geht soweit, dass man selbst sagt: ‚Och die Politiker, die haben so viel Geld, dass sie einfach sagen: ‚also, vier Prozent ist machbar, oder?’“ Für das Ehepaar Timm sind die neuen Zinsen nicht machbar. „Dass es teurer wird, den Pachtvertrag zu verlängern, war schon klar. Aber vier Prozent? Das ist ein halbes Vermögen!“
Nun kämpfen die Erbpachtnehmer in der Dornbreite gegen die neuen Bestimmungen. Für Siedlungsvorsitzenden Anderl wiederholt sich nach Hundert Jahren wieder die Geschichte. „So wie damals setzen sich Menschen in den Siedlungen wieder zusammen, um die Interessen der Erbbaunehmer zu vertreten. Letztendlich ist das ein Stück gelebte Demokratie.“ SDF