Die Hansestadt steht ohne Haushalt 2017 da

Gut 1900 Seiten Papier für den Schredder: Die Bürgerschaft hat den Haushalt 2017 abgelehnt. Er muss neu gemacht werden.

Nach stundenlanger Debatte lehnt die Bürgerschaft mit großer Mehrheit den Etat für das kommende Jahr ab.

Es geschieht um 20.31 Uhr. Bei der letzten, alles entscheidenden Abstimmung über den Haushalt lässt die Mehrheit aus CDU, BfL, Grünen und FDP ihre Hände unten. Die Bürgerschaft stimmt gegen den Etat für 2017. Er sieht Ausgaben von 800 Millionen Euro und ein Defizit von 34,7 Millionen Euro vor. Es scheint einmalig in der Nachkriegszeit zu sein: Die Hansestadt beginnt das neue Jahr ohne gültige Investitions- und Ausgabenliste. Die Hinterbänkler der CDU lachen sich ins Fäustchen, am anderen Ende des Versammlungssaals gestikuliert eine aufgebrachte Antje Jansen (GAL) wild: „Das ist Bürgermeister-Wahlkampf!“ Senatorin Weiher fasst sich an den Kopf und bleibt wie erstarrt an ihrem Tisch sitzen, während alle Stadtvertreter aufstehen und zur Abendbrotpause eilen wollen. Bürgermeister Bernd Saxe (SPD) reagiert schneller und geht zum Rednerpult. Er erinnert daran, dass auch die Sparvorschläge für den Konsolidierungsfonds nicht beschlossen wurden und somit eine Lücke von zwei bis drei Millionen Euro klafft. „Wenn wir die Lücke nicht schließen, werden Strafzahlungen in der Größenordnung von 16,5 Millionen fällig. Möge jede Fraktion sich überlegen, ob sie dafür die Verantwortung übernehmen will.“

Er will im Januar die Sparliste für den Konsolidierungsfonds nochmal vorstellen. Bis ein neuer ordentlicher Haushalt gültig ist, dauert es allerdings bis Mitte des Jahres, vermutet Saxe. „Ich könnte mich darüber freuen, wenn es nicht so tragisch wäre: Nie ist der Verwaltungschef so stark, als wenn er keinen Haushalt hat.“ Neue Investitionen sind allerdings blockiert. Senatorin und Bürgermeisterkandidatin Weiher ist erbost. Ihre Unterstützer, die Anti-Saxe-Allianz, haben ihr einen Bärendienst erwiesen: „Das bedeutet, dass ich für jede Kleinigkeit Herrn Saxe fragen darf und ganz vieles nicht so machen kann, wie ich es gerne machen würde. Schule und Kita müssen warten.“ So wie der Bürgermeister richtet auch Weiher hart über das städtische Parlament. „Stundenlange Arbeit umsonst gemacht. Da hätte man gleich ablehnen können. Das macht das Ansehen von Politik nicht besser.“

Acht Stunden lang hatten die Parteien in einer konfus geführten Sitzung über falsche Vorlagen, schlecht vorbereitete Anträge und unförmige „Streichlisten der Streichliste“ gebrütet. Sie lehnten die Sparmaßnahmen des Bürgermeisters beim Theater und bei den Forstrevieren ab. Sie ließen die Zuschüsse für die parteipolitischen Jugendorganisationen unangetastet. Sie beschleunigten die Maßnahmen in der Kantstraße und an den Schießständen sowie die Anschaffung von Feuerwehrgeräten. Sie schufen die Stelle für einen Beteiligungsbeauftragten in der Jugendhilfe. Und sie gaben eine Vielzahl von Prüfungen in Auftrag: ob MuK, IT-Bereich, Telefondienste, Pressestelle privatisiert werden können, ob der Bau eines neuen Verwaltungsgebäudes sinnvoll ist und ob Haustarife für die Angestellten der Hansestadt möglich sind. Auch der umstrittenen Tourismusabgabe gewährte eine sehr knappe Mehrheit eine zweite Chance. Eine Arbeitsgruppe mit Vertreten aus Politik, Verwaltung und IHK soll einen Kompromiss ausloten.

Als aber die Bürgerschaft in der letzten Abstimmung das gesamte Haushaltspaket ablehnte, wurden auch alle diese Einzelentscheidungen hinfällig. Die 1900 Seiten Sitzungsunterlagen sind nun für den Schredder. SDF

»Kommentar
Parteien sind ohne Plan
Die letzte Sitzung der Bürgerschaft war wahrlich keine Sternstunde der kommunalen Demokratie. Wenn man nach vorne in die Zukunft blickt, könnte man mit Fug und Recht behaupten: Die Schlacht für das kommende Super-Wahljahr mit Landtag-, Bundestag- und Bürgermeisterwahl hat begonnen. Wenn man aber zurückschaut, kann man feststellen: Die Idee der Bürgerschaftsmitglieder, keine Koalitionen einzugehen und sich auf wechselnde Mehrheiten zu verlassen, war Murks. Sicherlich ist es für die Parteien attraktiv, sich immer neue Partner zu suchen, wenn es darum geht, für die eigene Klientel die eine oder andere Rosine herauszupicken. Das gehört auch zur politischen Taktik.

Wenn aber wichtige strategische Entscheidungen wie ein neuer Haushaltsplan anstehen, dann braucht man zuverlässige Partner. Alliierte, die an einem Strang ziehen, sich ausführlich beraten und gangbare Lösungen vorschlagen. Auf der letzten Bürgerschaftssitzung hat man gar nichts davon erlebt. Es war ein Hauen und Stechen, jeder gegen jeden. Und am Ende haben alle verloren.

Sergio di Fusco

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