Seiltanz an der Kunsttankstelle

„Trümmerengel“ heißt die Skulptur von Inka Susanna Wiedemann (links). Die Defacto-Art-Künstler füllen die alten Gemäuer der Tankstelle mit neuem Leben. Auf dem Bild noch zu sehen sind der Vorsitzende Peter Fischer und Vorstandsmitglied Carlota Weist. (SDF)

Künstlerverein Defacto Art sucht Sponsoren für ein Kulturzentrum neben den Salzspeichern.

Die Figuren schweben hoch in der Luft. Drei Schaufensterpuppen in knapper Kleidung scheinen auf einem Seil zu tanzen. Dieses ist über den Garagenhof der ehemaligen Tankstelle neben den Salzspeichern gespannt. „Das sind die Lübecker Künstler“, sagt Peter Fischer vom Verein Defacto Art. „Wir Künstler tanzen auf dem Seil und haben diesen schmalen Grat, um hier tatsächlich Kunst zu schaffen. Und das ist außerordentlich schwierig.“

Das Vorhaben, die verlassenen Gebäude in Ateliers, Ausstellungsräume und ein Künstlercafé umzuwandeln, kommt nämlich langsamer voran, als früher gedacht. „Das Grundstück ist uns an die Hand gegeben worden, und das bedeutet, dass wir es vorübergehend benutzen dürfen. Aber die Verträge sind noch nicht unter Dach und Fach“, erklärt der Bildhauer. Denn dem Verein fehlt noch das nötige Geld, um das Grundstück von der Stadt zu pachten, die darauf stehenden Gebäude für 30000 Euro zu erwerben und zumindest die Garagen und eine Halle mit weiteren 100000 Euro herzurichten. „Es ist wie eine Katze, die sich selbst in den Schwanz beißt“, fasst Peter Fischer zusammen. „Die Stadt sagt, ihr besitzt ja keine Bonität, und die müsst ihr bitte Nachweisen, durch entsprechende Sponsorenzusagen.

Die Sponsoren sagen aber: Ach, es gehört euch noch nicht? Dann sponsern wir nicht.“

Von diesem Teufelskreis lassen sich die rund 40 Mitglieder von Defacto Art nicht verwirren. Sie füllen die Kunsttankstelle bereits mit Kreativität. Einige Garagen wurden hergerichtet. „Man kann sie nicht Ateliers nennen, aber wie können sie nutzen“, berichtet Fischer. Zur Museumsnacht schaute ein sehr großes Publikum vorbei. Eine Auktion Ende September lockte 200 Besucher an und brachte etwa 4000 Euro in die Vereinskasse. Schon länger läuft der Verkauf von Backsteinen. Für 130 Euro darf der Spender seinen Namen in einem Ziegelstein eingravieren. Fast 35 wurden bisher verkauft. „Diese Steine werden später unsere Wall of Fame, eine Wand mit den Namen der Spender im zukünftigen Café bilden.“ Gerade ist die Ausstellung „Skulptur Lübeck 1“ zu Ende gegangen. Sie habe bewiesen, wie wichtig das Projekt Kunsttankstelle ist, betont Fischer. „In Lübeck gibt es viele Skulpturen, und es gibt auch viele Ausstellungen. Aber es ist die erste Ausstellung dieser Art überhaupt.“

Das Konzept komme unter Lübecks Kreativen an, so Fischer. „Alle, die hier kommen, sehen die Risse in den Wänden und die Löcher in den Decken, und trotzdem genießen sie die Art und Weise, wie hier Kultur dargeboten wird. An dieser ehemaligen Tankstelle kann man in der Tat Kunst tanken. Wer hierherkommt, der geht mit einem ganz anderen, neuen Gefühl und der fröhlichen Vorstellung, dass sich hier etwas nur weiter entwickeln kann. Und das ist unsere Bonität, das ist unser Kapital.“ SDF

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