„Verordnete Obdachlosigkeit“

Flüchtlingsforum diskutiert über die Wohnlage der Geflüchteten.

Yasser Dawi erzählt seine eigene Geschichte. Vor zehn Monaten kam der Syrer mit seiner Frau und zwei Kindern nach Deutschland. Untergebracht wurden sie in Sachsen, aber dort wollten sie nicht länger bleiben. „Der Rassismus im Alltag war sehr spürbar“, berichtet er. So zog er vor vier Monaten nach Lübeck. Seitdem sucht er verzweifelt eine Wohnung. Während der 32-Jährige spricht, nicken viele Zuhörer zustimmend. Ähnliches könnten sie auch erzählen. An die 100 Männer und Frauen drängen sich an diesem Donnerstagabend im Solizentrum „Walli“. Das Flüchtlingsforum Lübeck hat zu einem Diskussionsabend mit dem Titel „Wohnraum für alle“ eingeladen.

Sozialsenator Sven Schindler ist auch dabei, und auch er nickt. Er kennt solche Geschichten. „Seit zwei, drei Monaten kommen verstärkt zu uns Menschen, die in Ost- und Süddeutschland einen Aufenthaltstitel erhalten haben, dann aus den Aufnahmeeinrichtungen entlassen werden und auf der Straße stehen. Das nennen wir staatlich verordnete Obdachlosigkeit“, empört sich Schindler. Viele Einwanderer hoffen auf bessere Bedingungen im Norden. „Wie viele es sind, können wir nicht sagen. Aber dadurch verschärft sich bei uns die Nachfrage nach Wohnraum spürbar. Das Thema Wohnen ist nach dem Asylverfahren für alle Geflüchteten das wichtigste Problem“, sagt Christoph Kleine, der den Diskussionsabend moderiert. Auf Deutsch, Arabisch und Farsi berichten die Teilnehmer von ihren Erfahrungen. Sie beschreiben den mühsamen Kampf gegen die Bürokratie von Sozialamt, Gemeindediakonie und Wohnungsbaugesellschaften. Sie berichten von Immobilien in katastrophalem Zustand, Wohngemeinschaften mit Drogen- und Alkoholsüchtigen und von zwielichtigen Maklern. Helferin Rondik Amedi stellt verbittert fest: „Mir scheint, dass alle Privatvermieter in Lübeck ganz schnell ein arabisches Wort gelernt haben: Bakschisch, also Schmiergeld.“

„In Lübeck wird für den Luxusbau mehr gemacht als für den sozialen Wohnungsbau“, findet Marie Brinkmann, Vorsitzende des Lübecker Flüchtlingsforums. Auch das „Wohnen auf Probe“, ein gemeinsames Programm der Gemeindediakonie und der Trave wird scharf attackiert. Damit erhalten bestimmte Flüchtlinge einen Probe-Mietvertrag für ein Jahr, andere bleiben außen vor. „Das ist ein Paradebeispiel für institutionellen Rassismus“, prangert eine junge Frau an. Zweieinhalb Stunden lang prasselt Kritik auf die Wohnungsbaupolitik, die Sozialverwaltung und die Gemeindediakonie nieder. Aber es meldet sich auch die Stimme von Zeinab Monschizada. Die 36-jährige Afghanin mahnt zur Geduld: „Wir sind alle ohne Einladung hierhergekommen. Es war klar, dass es für die Organisatoren sehr schwer sein werde, alles vorzubereiten. Aber ich merke auch, was alles für uns hier gemacht wird.“ SDF

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