
Zeitzeuge Avner Gruber berichtete den Eutiner Schülern von seinen düsteren Erlebnissen. (Florian Kuhnt)
Bericht über NS-Greuel: Zeitzeuge Avner Gruber besucht Berufliches Gymnasium Eutin.
„Werdet politisch aktiv, aber vergesst nicht Euren Kopf!“, so lautet der eindringlich formulierte Appell von Avner Gruber an über 70 Schüler des 13. Jahrgangs der Beruflichen Schule in Eutin. Diesem Aufruf ging ein fast dreistündiger Bericht über Erfahrungen Grubers während des Nationalsozialismus voraus. Als Zeitzeuge stand er den jungen Leute Rede und Antwort.
Gruber, gebürtiger Rumäne, machte seine ersten Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Ideologie als frisch eingeschulter Gymnasiast. Er und seine ebenfalls jüdischen Mitschüler sowie die jüdischen Lehrkräfte wurden von der Schule verjagt, nachdem Machthaber Antonescu eine faschistische Militärdiktatur in Rumänien aufbaute. Bald schon wurden er, seine Familie und alle jüdischen Mitbürger deportiert.
Die Vorstellung, in einem Viehwaggon mehrere Tage mit vielen Menschen ohne Essen oder Trinken eingepfercht zu sein, ließ die Eutiner Gymnasiasten nicht kalt. Die Schilderungen, dass die Notdurft nur behelfsmäßig mithilfe eines Eimers verrichtet wurde und die Fäkalien anschließend über die am Boden liegenden Gepäckstücke verteilt wurden, war nur eine Erinnerung von sehr vielen, über die Gruber den Schülern berichtete. Nachdem Grubers Familie in ein Arbeitslager nach Mogilev verschleppt wurde, haben sich die Familienmitglieder auf unterschiedliche Weise so nützlich gemacht, dass sie nicht in die Vernichtungslager weitergeschickt wurden. Sein Großvater sammelte täglich die Leichen in den Gassen ein, denn täglich starben viele Menschen aufgrund der Unterernährung oder sich schnell verbreitender Krankheiten.
Nach all den Jahren zeigte sich Gruber sichtlich ergriffen von den Ereignissen. Als er ein in etwa gleichaltriges Mädchen im Lager kennenlernte, die gerade ein Kind auf die Welt gebracht hatte, verliebte er sich das erste Mal. Doch die gemeinsame Zeit währte nicht lange. Das Mädchen war wie alle Lagerinsassen unterernährt und konnte den Säugling nicht ausreichend versorgen, sodass er häufig schrie. Ein Soldat schrie das Mädchen an, sie solle das Baby beruhigen. Als das nicht geschah, fiel ein Schuss – und das Baby schrie nicht mehr. Dafür begann nun das Mädchen zu schreien. Nach dem zweiten Schuss wurde es ganz still. Diese Erinnerungen bleiben Gruber wie eingebrannt im Gedächtnis.
1945 immigrierte Gruber nach der Befreiung der Lager nach Israel, wo er zunächst den Militärdienst absolvieren musste. Sein bewegtes Leben führte ihn über Frankreich nach Deutschland, wo er unter anderem als Ökotrophologe tätig war. Erst nachdem sein Sohn ihn fragte, wer er überhaupt sei, begann er, seine Erlebnisse aus der NS-Zeit aufzuzeichnen und in Schulen darüber zu berichten.
Nachdem Avner Gruber viele Fragen der Eutiner Schüler beantwortet hatte, sagte er, es sei normal und gut, dass junge Leute sich für Dinge und Ideen begeistern: „Behaltet aber Euren Kopf!“